Brücken bauen: Die Bedeutung von Kultur für effektive Zusammenarbeit

Brücken bauen: Die Bedeutung von Kultur für effektive Zusammenarbeit

Erfahrungen unserer Co-Institutsleitung lic. phil. Irma Endres aus der Praxis als Mediatorin, Coach und Trainerin

Und warum braucht es heute noch das Thema Kultur? Reicht es nicht, wenn man besonders achtsam und offen ist? Ist nicht der Faktor Mensch im Zentrum? Fragen, die mir im Unterricht, in Trainings, in Mediationen und Coachings immer wieder begegnen.

Ja, der Mensch und seine Interessen und Bedürfnisse stehen in der Mediation, im Coaching und auch im Leadership immer im Zentrum. Und eines der wichtigsten Bedürfnisse eines Menschen ist Zugehörigkeit, eine der grössten Ängste und Strafen Ausschluss. Und eine der vielen Zugehörigkeiten eines Menschen ist Kultur oder die Zugehörigkeit zu mehreren Kulturen.

Kultur ist so selbstverständlich, dass wir sie oft gar nicht mehr wahrnehmen, oder nur dann, wenn es zu Spannungen, Missverständnissen oder zu Konflikten kommt. Aber Achtung: Wir dürfen nicht in die Kulturfalle tappen und jeden Konflikt gleich kulturell deuten. Kultur ist immer nur ein Faktor. Manchmal ein sehr wichtiger, aber manchmal spielt er selbst im interkulturellen Kontext keine Rolle.

Mehr erfahren: Kultur und Vielfalt am IKF

Als Anregung, über den Faktor Kultur nachzudenken, möchte ich ein paar Beispiele aus meiner Berufspraxis als Mediatorin, Coach und Trainerin teilen:

Beispiele aus der Führung

Partizipatives Führen

Was für ein Frust für den Vorgesetzen: In einer Non-Profit- Organisation wird partizipatives Leadership eingeführt. Jede Person soll proaktiv eigene Ideen einbringen, diese gemeinsam mit Kolleg*innen evaluieren und optimieren. 
Doch N., ein junger sehr gut qualifizierter neuer Mitarbeiter, der vor kurzem in die Schweiz migriert ist, schweigt in Besprechungen mit dem Team. Gedanken, die dem Vorgesetzten dazu kommen: Ist N. doch nicht so kompetent, wie angenommen? Ist N. nicht interessiert? Ist N. schüchtern? Hat er Sprachprobleme? Das könnten mögliche Erklärungen sein. 

Der Vorgesetzte will N. noch eine Chance geben: Er verordnet ein Coaching. Im Coaching stellt sich heraus: N. kommt aus einer Kultur, in der die Regel gilt, dass es unhöflich ist, sich gegenüber höher gestellten Personen proaktiv einzubringen. Man spricht, wenn man gefragt wird. Sich einbringen, ohne gefragt zu werden, ist respektlos und unprofessionell, verstärkt wird dies noch durch den Altersunterschied.

Mit Einwilligung von N. wird diese Situation mit dem Vorgesetzten besprochen und anschliessend ein Gespräch zu dritt geführt. Eine der vereinbarten Lösungen ist, dass N. immer erst Themen mit einzelnen Peers diskutiert und dass diese anschliessend gemeinsam mit N. ihre Ideen im Team einbringen. Ein erster Schritt in Richtung Partizipatives Führen ist getan.

Wollen Sie tiefer in das Thema Transkulturelles Coaching eintauchen?

Kaizen, der Briefkasten und die Verschriftlichung

Ein ähnliches Beispiel begegnete mir in einer sehr innovativen Organisation mit Mitarbeiter*innen aus über 40 verschiedenen Kulturen, in der zuvor Kaizen eingeführt wurde. Es funktionierte nicht. Niemand wollte vor anderen Themen und Kritikpunkte direkt benennen. Jeder wollte das eigene Kollektiv schützen und das Gesicht wahren. Ein Verhalten, das in erster Linie nicht unbedingt kulturell zu deuten ist.

Dann wurde, in der Hoffnung, dass alle ihr Gesicht wahren können, eine neue Lösung ausgedacht: Ein Briefkasten, in den alle Mitarbeitenden Zettel mit ihren Anliegen einwerfen können, die anschliessend in der Gruppe diskutiert werden sollen. Doch schon zeigte sich das nächste Problem. Verschriftlichen: auf keinen Fall.

Das schriftliche Festhalten von Problemen bedeutet in manchen Kulturen, dass sich das Problem verfestigen wird und erst recht nicht mehr zu lösen ist. Was als gute Methode oder Moderations-technik gedacht wird, ist nicht immer kulturkompatibel.

Nach langem Hin und Her wurden Peer-Gruppen gebildet mit je einer Sprecherin oder einem Sprecher bestehend aus Teamleiter*innen. Diese hatten die Aufgabe, in der Gruppe Themen zu sammeln und diese im Plenum vorzutragen. Aus ihrer Position heraus war dieser Schritt möglich und akzeptiert.

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Ein Klassiker aus dem Gesundheitsbereich:

Dauernd Patientenbesuch

In Mediationen und Trainings in Spitälern wird immer wieder darüber geklagt, dass ganze Clans zu Krankenbesuchen kämen und die Ruhe der Patient*innen störten. 

Was steckt dahinter? Kranke Menschen lässt man in vielen Kulturen nicht allein. Man begleitet sie zum Arzt oder ins Spital, man bringt ihnen Essen und begleitet sie in jedem Schritt bis zur Entlassung. Die Krankheit ‘gehört’ der ganzen Familie, auch das Sterben und der Tod. Die Familie ist nicht nur ein System, es ist vielmehr der ‘erweiterte Körper’.

Das Bedürfnis allein zu sein, gilt in vielen Kulturen als Krankheit, das Alleinlassen ist verwerflich und verstösst gegen das ungeschriebene Gesetz. Und was ich lange nicht wusste: In vielen traditionellen Kulturen signalisiert man kranken Menschen durch das Alleinlassen, dass sie «dem Tode geweiht» seien. Darum: Kranke lässt man lieber nicht allein.

Dieses kulturelle Hintergrundwissen hilft mir in Konflikten, Interessen und Bedürfnisse besser zu klären und kreative Lösungen zu finden.

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Interkulturelles Dolmetschen

Als besonders anspruchsvoll gilt für Interkulturelle Dolmetscher*innen das Kommunizieren schwerer medizinischer Diagnosen. Beim wörtlichen Übersetzen werden oft kulturelle Tabus gebrochen.

Ein klassisches Beispiel aus dem Training von Interkulturellen Dolmetscher*innen soll dies veranschaulichen:

Über mehrere Jahre hinweg haben mir Interkulturelle Dolmetscher*innen immer wieder dieselbe Frage gestellt: «Was soll ich übersetzen?» oder «Wie soll ich diese Diagnose übersetzen?».

Aus professioneller Sicht ist diese Frage einfach zu beantworten: Das, was gesagt wurde.

Wenn meine Anweisungen umgesetzt werden, entsteht wahrscheinlich ein Dilemma für die Dolmetschenden: Wie soll z.B. eine schwere Krebsdiagnose übersetzt werden, wenn in der eigenen Kultur solche Diagnosen den Verwandten, aber nicht der kranken Person selbst mitgeteilt werden. Durch das direkte Mitteilen wird ein kulturelles Tabu gebrochen. Und nicht nur das: Ein solcher Verstoss beim Übersetzen kann zur Folge haben, dass Dolmetschende in der eigenen Community geächtet werden. Dies ist insbesondere in ländlichen Gegenden der Schweiz zu berücksichtigen, in der die kulturelle Community der jeweiligen Dolmetschenden oft sehr klein ist.

Wichtig ist, dass diese Problematik des direkten Ansprechens in einem Vorgespräch zwischen Dolmetschenden und Fachpersonen geklärt werden kann, um eine adäquate, aber auch professionell korrekte Form der Übersetzung zu finden und die Rolle der Dolmetschenden gegenüber Patienten gut zu klären.

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Fazit

Die aufgeführten Beispiele könnten den Eindruck erwecken, dass Kultur insbesondere aus Hindernissen und Differenzen bestehe. Dies ist nicht der Fall. Was nicht vergessen werden darf: Mediator*innen, Coaches und Trainer*innen werden leider meist dann gerufen, wenn es schwierig läuft und nicht, wenn es gut läuft. Wo es kulturelle Unterschiede gibt, gibt es auch kulturelle Gemeinsamkeiten und damit viele wichtige Ressourcen.

Auch wenn wir im Rahmen der Globalisierung viel über Kulturen gelernt haben und uns als interkulturell versiert wahrnehmen, gibt es immer wieder Überraschungen, selbst im Umgang mit der eigenen Kultur.

Kultur ist und bleibt ein wichtiger und spannender Faktor in der Zusammenarbeit und in der zwischenmenschlichen Interaktion.

Zum Gesamtüberblick: Kulturkompetenz am IKF erweitern

lic. phil. Irma Endres

"Ich kann nicht beeinflussen, was mir gesagt wird, aber ich kann wählen, wie ich es höre."

Irma Endres hat in Basel und Akademgorodok, Novosibirsk, Russistik und Germanistik studiert. Vor und während des Studiums erfolgten längere Auslandsaufenthalte in Italien, Neuseeland, Südafrika und Russland

Dem Erststudium folgten ein Studium in Übersetzung mit Spezialgebiet Business-Russisch (Übersetzerschule St. Gallen), das Master-Studium Interkulturelle Kommunikation & Management (IKF Luzern) und eine Ausbildung in Interkultureller Mediation (IKF Luzern) sowie Zertifizierungen für Kulturassessments IDI und IRC, Weiterbildungen in Gewaltfreier Kommunikation (Metapuls), Basislehrgang Systemische Strukturaufstellungen® für den Organisationsbereich und diverse Weiterbildungen in Strukturaufstellungen (Dr. Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer), Lösungsfokussierte Trauma-Arbeit (Hélène Dellucci), Lehrgang in Integral Somatic Psychology (ISP™) (Raja Selvam).

Irma Endres übernahm 2008 die operative Leitung am IKF. Seit 2012 ist sie als Studienleiterin für die Bereiche Transkulturelle Kommunikation, Mediation, Coaching und Kommunikationspsychologie verantwortlich. Sie hat mehrere transkulturelle Kommunikationstrainings für Firmen und Universitäten aufgebaut, begleitet Projekte in Konfliktprävention, Integration und arbeitet freiberuflich als Mediatorin, Coach und Übersetzerin.

Bevor sie ans IKF kam arbeitete sie als Projektkoordinatorin des Mentoringprogramms Diss+ zur Förderung von weiblichem akademischem Nachwuchs (Universität Basel) und als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache am Sprachenzentrum der Universität Basel, seit 2013 an der Universität Luzern. Zwischen 2013-2018 bildete sie nebenberuflich bei Bilang, St. Gallen, Interkulturelle Dolmetscher*innen (Zertifikat Interpret) aus.

Kontakt: irma.endres@ikf.ch

CAS Transkulturelles Coaching & Interkulturelle Beratung

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