
Missverständnisse können uns das Leben schwer machen
Ein Interview mit unserer Dozentin Anna Fuchs
Erschienen im Magazin active & live, Ausgabe: 09/2024, Autorin: Susanne Perren
Anna Fuchs, Diplom-Psychologin und Dozentin für angewandte Kommunikationspsychologie, fällt in der Schweiz immer wieder auf das «..., oder?» am Ende eines Satzes hinein. Im Interview mit Susanne Perren ermutigt sie uns, in Gesprächen zu sagen, warum uns dies oder das wichtig ist.
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Sie unterrichten als Deutsche auch in der Schweiz. Obwohl die gemeinsame Sprache Deutsch ist, kommunizieren wir unterschiedlich. Wie erleben Sie das?
Anna Fuchs: Schweizerinnen und Schweizer kommunizieren indirekter — wenn man das verallgemeinern darf. Das gilt auch für die Schweizer Diplomatie. Ich persönlich finde das Wörtchen «oder» am Ende von Sätzen spannend — weil ich stets darauf reinfalle. Ich will darauf antworten. Dabei lädt dieses sprachliche Anhängsel auf eine interessante Art und Weise zum Widerspruch ein. Diese Wortkapsel steht sinnbildlich für den Schweizer Kommunikationsstil.
Das Reden ist uns Menschen gegeben. Warum scheitern wir so oft daran?
Anna Fuchs: In den meisten Kommunikationsprozessen scheitern wir gar nicht. Meistens verstehen Sie, was ich möchte. Meistens haben wir ein gemeinsames Verständnis davon, was eine angemessene Art des Umgangs ist, welcher Ton zum Beispiel erwünscht ist. Meistens verstehen Sie, was ich mir wünsche, und entscheiden sich vielleicht dafür, meinen Appellen zu folgen. Oder es gelingt mir, Ihnen beziehungsschonend mitzuteilen, dass Sie das nicht tun werden. Kurz: Meistens funktioniert unsere Kommunikation wunderbar. Aber es gibt auch Momente, in denen Kommunikation furchtbar kompliziert sein kann. Diese Momente, in denen wir scheitern und Missverständnisse entstehen, sind die Momente, die den meisten von uns das Leben schwer machen können.
Weil wir auf verschiedenen Ebenen hören?
Anna Fuchs: Grundsätzlich hören alle Menschen auf den gleichen Ebenen. Wir kommunizieren auch immer gleichzeitig auf der Sach-, Appell-, Beziehungs- und Selbstoffenbarungsebene. Das ist wie ein Akkord, bei dem es allerdings Ober- und Untertöne geben kann. Ihre kommunikativen Gewohnheiten, was Menschen brauchen, um sich im Gespräch und im Miteinander wohlzufühlen, hängen stark von der kulturellen Prägung, von der Persönlichkeit, der Situation und der aktuellen Befindlichkeit ab. Ich gebe Ihnen eine Sachinformation und falle aus allen Wolken, dass Sie das persönlich nehmen. Das liegt daran, weil ich auch eine Beziehungsbotschaft gesendet habe und Ihnen daran irgendetwas offenbar nicht gepasst hat.
Worüber stolpern wir beim Diskutieren?
Anna Fuchs: Über die Beziehungsebene, denn da liegen die Konflikte. Also über die Du- und Wir-Botschaften. In der heissen Phase von Konflikten lässt sich das oft besonders gut beobachten, dann sind viele von uns auf der klassischen Gewinner- oder Verliererschiene unterwegs: «Immer schon machst du ..., hast du ..., wie kann man nur so blöd sein ...» betont die Beziehungs- und die Appellebene. Wie man die Spülmaschine richtig einräumt, ist ein Klassiker. Dabei gilt: In der Kommunikation sind Sie als Person das wichtigste Instrument. Gute Kommunikation ist immer auch eine Frage der Haltung. Bei der Spülmaschinengeschichte wäre es sinnvoller, mehr auf der Selbstkundgabe-Ebene zu kommunizieren. Erklären Sie, warum Ihnen dieses oder jenes gerade wichtig ist, und versuchen Sie, dass Ihr Gegenüber dies auch versteht.
Warum fällt es uns bei verbalen Auseinandersetzungen schwer, auf der Sachebene zu bleiben?
Anna Fuchs: Weil wir gar nicht nur auf der Sachebene kommunizieren können. Zum Konflikt führen die Pseudoscharmützel, etwa weil ich mich angegriffen fühle. Da geht es um die Fragen: «Warum wagst du es, so mit mir zu sprechen?», «Warum stellst du meine Meinung infrage?», «Warum glaubst du eigentlich, dass du das besser kannst als ich?», welche uns auf die Beziehungsebene bringen.
Sind wir uns stets bewusst, auf welcher Ebene wir senden und hören?
Anna Fuchs: Nein. In der Kommunikation passiert unglaublich viel, auch unbewusst. Gerade Menschen, die etwa in technischen Berufen darauf sozialisiert wurden, möglichst «sachlich» zu bleiben, unterschätzen den Einfluss von Beziehung, Appell und Selbstoffenbarung, die ja ganz automatisch mitschwingen und beim Gegenüber etwas auslösen. Dazu gehören auch Menschen, die viele Fremdwörter verwenden. Das Herumschmeissen mit Fremdwörtern wird zur Imponier- oder Fassadentechnik, die nach hinten losgehen kann. Das Gegenüber reagiert negativ auf diesen Beziehungshinweis und das damit einhergehende Hierarchieverständnis.
Ihre Tipps, um sich besser auszudrücken?
Anna Fuchs: Bleiben Sie mehr beim «Ich» und benutzen Sie weniger das «Du».
"Willst du ein(e) gute(r) Kommunikator(in) sein, dann schau erst in dich selbst hinein", sagt Prof. Schulz von Thun dazu.
► Möchten Sie tiefer eintauchen in die Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun?
Wie gelingt aktives Zuhören?
Anna Fuchs: Aktives Zuhören ist eine Methode, bei der ich zugewandt die Gefühle meines Gegenübers spiegle. Dadurch fühlt sich die andere Person ernst genommen. Die Methode eignet sich, wenn der Gesprächspartner emotional sehr stark involviert ist, zum Beispiel sehr traurig ist. Dann kann es helfen, dem anderen zu zeigen, dass man ihn sieht und versteht. Das ist sein grosses Bedürfnis in diesem Moment. Im Alltag wende ich zugewandtes oder konzentriertes Zuhören an.
Was, wenn jemand gleich mit Rat und Optionen antwortet?
Anna Fuchs: Sie meinen eine Reaktion auf der Appellebene: Hast du schon dieses probiert? Hast du das der Chefin, dem Chef gemeldet? Ich behaupte mit einem Augenzwinkern, dass Männer das oft besonders gut können, wenn die Partnerin mit einem Problem nach Hause kommt. Dabei ist es meistens gar nicht das, was sie in dem Moment braucht. Ihr geht es in erster Linie darum, ihre Probleme auszuschütten. Sie wünscht sich jemanden, der empathisch reagiert und sie gedanklich begleitet. Das hilft ihr in dieser Situation am meisten. So kann sie ihre Gedanken strukturieren und ihren eigenen Lösungsansatz zu Ende denken. Frauen reagieren besonders allergisch auf gut gemeinte Appelle, weil sie auch eine Beziehungsbotschaft enthalten: «Ich erkläre dir jetzt mal, ich weiss, wie das läuft...» Hilfreicher vom Gegenüber wäre eine Bemerkung im Sinne von: «Mensch, du hast ja echt einen anstrengenden Tag gehabt. Das tut mir leid. Soll ich dir Kaffee kochen?» Zuhören hilft schon. Eine gemeinsame Lösung kann später noch gefunden werden.
Reden und diskutieren Frauen anders als Männer? Oft heisst es, Männer würden sich im Streit eher zurückziehen. Frauen hingegen sind emotional veranlagt.
Anna Fuchs: Wir sind unterschiedlich sozialisiert worden. Von Männern wird immer noch erwartet, dass sie ihre Gefühle weniger zeigen, mit einer Ausnahme: Männer dürfen im beruflichen Kontext deutlich mehr Wut zeigen als Frauen, ohne mit sozialen Konsequenzen rechnen zu müssen. Was den Ausdruck von Ärger am Arbeitsplatz angeht, könnte man also durchaus sagen, dass Männer emotionaler sind, ansonsten zeigen Frauen ihre Gefühle eher.
Vor der Industrialisierung mussten die Menschen arbeiten und hatten wenig Zeit zum Reden. Dann nahmen uns Maschinen die Arbeit ab und wir konnten uns den Gesprächen widmen. Jetzt nimmt uns die künstliche Intelligenz die Kommunikation wieder ab. Wo sehen Sie die Zukunft der Konversation?
Anna Fuchs: Man hat auch früher geredet, abends am Feuer beispielsweise. Ein grosser sozialer Einschnitt trat ein, als der Fernseher in die Stube fand. Dann kam das Internet. Heute sind wir als Gesellschaft hypervernetzt, also immer mit allen verbunden. Gleichzeitig gab es noch nie so viel Einsamkeit. In England gibt es ein Einsamkeitsministerium, in Japan existieren Einsamkeitsroboter. Das finde ich beunruhigend.
► Wie können wir unsere Kommunikation in der Zukunft sicherstellen?
Kommt uns das Reden abhanden, weil wir bloss noch liken und posten?
Anna Fuchs: Ich mache mir Sorgen um die Qualität der Gespräche. Aus Studien wissen wir, dass Gespräche eine andere Qualität bekommen, sobald ein Mobiltelefon auf dem Tisch liegt. Die Menschen nehmen dann weniger Blickkontakt auf und zeigen sich weniger zugewandt. Gleichzeitig fühlt man sich weniger verstanden — und das, obwohl das Display des Geräts nach unten zeigt. Mein Gehirn reagiert auf den Hinweisreiz, dass das Gespräch jederzeit unterbrochen werden kann. Wir reden hier nur davon, dass das Gerät im Blickfeld ist. Wer nebenbei Nachrichten schreibt und mit einem Teil seiner Aufmerksamkeit irgendwo da draussen unterwegs ist, verliert natürlich an Präsenz. Das führt zu zunehmender Einsamkeit. Nicht das Tool ist das Problem, sondern wie wir damit umgehen.
Präsenz als Stichwort: Wie bedeutend ist die Körpersprache?
Anna Fuchs: Der Körper spricht immer mit. Wir sind sehr fein getunt, uns auf unser Gegenüber einzustellen. Dabei passen wir uns einander an. Würden wir uns gegenübersitzen, würde ich Ihre Körperhaltung automatisch kopieren. Das geschieht unbewusst. Interessanterweise gelingt es auch bei Online-Gesprächen, einen Teil davon zu vermitteln, obwohl natürlich viele Sinneseindrücke fehlen. Gleichzeitig gilt, dass non- oder paraverbale Signale je nach Kultur unterschiedlich gelesen werden. Die Ursache vieler interkultureller Konflikte liegt oft in solchen Unterschieden, ohne dass sich die Beteiligten dessen bewusst sind. Solange wir die kulturellen Unterschiede nicht kennen, können wir andere nur an unseren eigenen kulturtypischen Spielregeln messen. Auch hier gilt also: Um stimmig kommunizieren zu können, müssen wir zunächst mehr darüber lernen, wie wir selbst ticken.
► Wie gelingt interkulturelle Kommunikation ohne Missverständnisse?
Anna Fuchs

Anna Fuchs findet die besten Beispiele für Missverständnisse als Dozentin, Trainerin, Coach und Mutter in ihrem Alltag. Gemeinsam mit ihrem argentinischen Partner lebt sie seit 2001 in Barcelona, wo ihre beiden Kinder dreisprachig aufwachsen. Die Diplom-Psychologin ist Vertreterin des Schulzvon-Thun-lnstituts für Spanien und das spanischsprachige Ausland. In Luzern leitet sie überdies den Studienlehrgang «Angewandte Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun» am Institut für Kommunikation und Führung in Luzern. Im Jahr 2022 erschien ihr Sachbuch «Transkulturelle Herausforderungen meistern» mit einem Vorwort von Prof. Schulz von Thun.




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